LEIBNIZ, Gottfried Wilhelm Freiherr von, 1646–1716.


LEIBNIZ, Gottfried Wilhelm Freiherr von, 1646–1716.

E. Briefentwurf mit Unterschrift „G.WL“. (Mainz 13.II.1671.) 3 1/2 S. 8o. Leicht gebräunt, Ränder etwas unregelmäßig.



Frühes Konzept eines Briefs aus seiner Zeit am kurfürstlichen Hof in Mainz an Herzog (Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg). Im Zusammenhang mit einer (nicht überlieferten) philosophisch-theologischen Schrift über die Willensfreiheit stellt Leibniz die Bedeutung einer klaren Sprache in Philosophie und Theologie heraus: würde nur auf sprachliche Vernebelungen verzichtet, dann wäre auch ein Ende der Kirchenspaltung möglich – ein Ziel, das Leibniz ein Leben lang verfolgte.

„… Als ich unlängst meine wenige meditation vom freyen willen des Menschen, glück und unglück, Gottlicher Vorsehung, und Versehen oder Schickung, Gnadenwahl, mitwirckung mit dem thun und laßen der Creaturen, Gerechtigkeit in Verlaßung des einen, und annehmung des andern und von Recht oder unrecht so den Verdamten geschieht, zu papier gebracht und aus meinem ersten concept umb beßern gebrauchs willen Copiiren laßen, auch dem Herrn Baron von Boineburg zu lesen geben, hat wohlgedachter H. von Boineburg E. Hochfurstl. Durchl. solches gleich umb der zeit gewinnung zugeschickt. Wiewohl ichs nicht gewußt sondern willens war solche erste Copie, als die voll Lituren vor mich zu behalten und eine andre verfertigen zu laßen, und alsdann … unterthänigst zu senden …

Die Sach selbst belangend, so hoffe eines und das andre beygebracht zu haben, so bishehr wenig oder gar nicht in acht genommen … Mein Zweck aber ist wie sonst also auch hier gewesen, nicht etwa mit leeren in die lufft geschriebenen büchern die Läden zu füllen, sondern wo müglich damit einen Nuzen zuschaffen und habe dahehr gegenwertige arbeit vorgenommen umb mit diesem Specimine zu beweisen, wie so offt wichtige Dinge leicht und durch wunderliche terminos verdunckelt …, wenn man diese Nebel-Cappe abziehe, und alles mit solchen worten giebt, so iedermann in seiner Sprache braucht … Was ist wohl iemahls mit mehrer Hiz unter allen secten der philosophen und Religionen der Volcker als die materi von der Praedestination und was ihr anhängig gestritten worden und gleichwohl hat der unvergleichliche Richelieu, der so Viel gesehen, auch hier recht gesehen, dz einer den andern nicht verstehe, dz aller dieser zanck von Misbrauch der worte kommet, daß … in der that der unterschied gering und zum wenigsten nicht capital, oder wie man heut zu tage redet, fundamental sey. Ich getraue mir, wenns der mühe werth were, über 100 unterschiedene secten und meinung … in dieser Materi zusammen zubringen, so ihre autores nicht anders, als wenn die Menschliche wolfart daran hienge verfochten, und die articel zu einem solchen Labyrinth gemacht, daß dergleichen keiner in der welt zu finden und der langst lebende Mensch nicht zeit gnug haben würde, nur die unzehligen distinctiones und verdrehungen der worte … aus einander zu sezen.

Weil aber ein einiges, Clares aus gemeinem Leben genommenes, mit einer gewißen von iedermann erkentlichen definition umbschränktes Worth mehr krafft hat, die gemüther zu erleuchten als 1000 Termini Scholastici und distinctiones, so hab ich … dieses unzahlbare spüngewebe abgekehrt, und mit Natürlichen Redearten, deren sich auch ein lateinischer Bauer (wenn einer in der welt wäre) gebrauchen würde, alles geben. Ich hätte es lieber teutsch geschrieben, sonderlich weil die teutsche sprache kein Terminisiren leidet, man wolte dann frembde worthe ungescheuet hineinflicken, alleine es hätte dergestalt den ausländern nicht communicirt werden können. Meine intention nun damit ist gewesen zu versuchen, ob etwa mit guther manier, verstandiger Sanfftmuthiger Theologen von allen seiten, von Catholischen, Evangelischen, Reformirten, Remonstranten und so genanten Jansenisten, erpracticirte judicia, und dieses zum wenigsten erhalten werden könte, dz wo sie nicht alles billigten, dennoch bekenneten, nichts darinn, so verdamlich oder dem also leb- und sterbenden an seiner seeligkeit schädlich zu finden. Welches gewislich ein schöhner grad zu einer mehrern Näherung und

einigkeit were …“ – Stark überarbeiteter Entwurf.

„Baron von Boineburg“: Johann Christian Frhr.v. B. (1622–1672), kurmainzischer Minister, der Leibniz nach Mainz geholt hatte.

Der früheste überlieferte Brief von Leibniz an Herzog Johann Friedrich, der sich damals schon bemühte, den jungen Gelehrten als Bibliothekar an seine Residenz Hannover zu ziehen, was ihm schließlich 1676 gelang.

Philosophischer Briefwechsel Band 1 (Akademie-Ausgabe 2 2006) Nr. 42, nach einem früherem Druck, mit deutlichen Abweichungen von diesem Autograph (u.a. ist Richelieu im Druck nicht mit Namen genannt, sondern als „ein großer Politiker“ umschrieben).




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